Gespritzt, nicht geschmiert – Die Butterbrezelmaschine

Mit dem Auftrag der Kollegen, fünf Butterbrezeln mitzubringen, betritt Dieter Obertautsch im Sommer 2006 eine Bäckerei in Fellbach. Die Auslage, in der üblicherweise mehrere Butterbrezeln liegen, ist jedoch leer. Die Verkäuferin ist allein und hinter ihm stehen drei weitere Kunden an. „Hätten meine Kollegen nicht erwartet, dass ich welche mitbringe“, erinnert sich der gelernte Elektriker heute, „hätte ich mich da nie getraut, fünf Butterbrezeln zu bestellen.“
Doch Obertautsch beweist Nervenstärke und bestellt, obwohl er weiß, dass er wegen der damit verbundenen Wartezeit den Zorn aller Anwesenden auf sich ziehen wird. Der Blick der Verkäuferin sagt alles: Muss der ausgerechnet jetzt, wo der Laden voll ist, fünf Butterbrezeln bestellen? Und obwohl Obertautsch keine telepathische Veranlagung hat, ist ihm klar, dass die Wartenden in seinem Rücken dasselbe denken. Ein Dilemma, wie es tagtäglich sicherlich tausendfach in schwäbischen Bäckereien geschieht. Einer bestellt Butterbrezeln, alle müssen warten.
Wenig später betritt Obertautsch die Firma zwar mitsamt der fünf Butterbrezeln, aber auch mit einem schlechten Gewissen. Während er das zweite Frühstück verteilt, berichtet er seinen Kollegen, was er für dafür durchmachen musste. Er erntet Verständnis. Alle kennen die Situation. „Wieso gibt es für dieses Problem eigentlich keine Lösung?“, fragt er sich und seine Kollegen. „Wieso müssen Butterbrezeln eigentlich immer noch von Hand geschmiert werden?“

Seine Kollege Michael Feil beantwortet die Frage so, wie jeder einfallsreiche schwäbische Sondermaschinenbauer Fragen zu systematischen Problemen beantwortet: Er baut eine Maschine.
Genauer gesagt werden Feil und Obertautsch gemeinsam entschließen, eine Butterbrezelmaschine zu entwickeln. Und zwar in der Hobbywerkstatt in Feils Keller, der in Althütte im beschaulichen Hügelland östlich von Backnang lebt. Miteinander befreundet waren die beiden schon bevor sie Kollegen in derselben Firma wurden. Geboren wurden sie beide 1962 – Obertautsch in Plattenhart bei Filderstadt, Feil in Marbach am Neckar – als zwei waschechte Schwaben, was auch ihr Dialekt beweist.
Doch die beiden haben mehr gemein als den Zungenschlag. Sie ergänzen sich gut; was der eine beginnt, beendet der andere: „Als wir überlegt haben, wie so eine Maschine aussehen könnte, kam immer gleich die Frage, ob das dann auch mit einer echten Butterbrezel vergleichbar ist“, erzählt Feil und Obertautsch fährt fort: „Und wir haben uns gesagt, dass wir das nur dann machen, wenn es am Ende wie eine echte Butterbrezel schmeckt.“

So kulinarisch einfach gestrickt, wie die Butterbrezel daherkommt, ist sie mitnichten. Geschmäcker sind verschieden, selbst die der Schwaben, auch wenn es zu Glauben schwer fällt. Also wirft die Frage nach der perfekten Butterbrezelmaschine zunächst die Frage nach der perfekten Butterbrezel auf.
Während im Südwesten nur der dicke Teil der Brezel bestrichen wird, neigen die Bayern dazu, die ganze Brezel aufzuschneiden und zu bestreichen. Soll die Maschine also nur den dicken, weichen Teil schwäbischer Brezeln bebuttern, ohne den knusprigen, dünnen? Oder auch die bayerische Variante rundherum? Könnte eine Butterbrezelmaschine am Ende gar zu einer Standardisierung der Brezelform führen? Nicht auszudenken! Den beiden Tüftlern ist jedenfalls klar, dass sie etwas revolutionieren wollen, was den Schwaben bald heiliger ist als ihr Blechle.
Die Antwort auf all das kommt nach mehrjähriger Entwicklungszeit mit abwechselnden Fortschritten und Rückschlägen marktreif in einem grauen Kasten daher, auf dem geschrieben steht: „BBM25“. Die Butterbrezelmaschine 25 fasst 250 Gramm Butter, die ungefähr in 25 Brezeln gespritzt werden können.

Ein einfacher Tastendruck presst zehn Gramm sieben Grad kalte Butter mit anderthalb Tonnen Druck durch elf Kanülen und verteilt sie in Form gleichmäßiger Kügelchen im Inneren der Brezel. Auch dann, wenn diese frisch gebacken und noch lauwarm sind, was die Butter schmelzen und das Schmieren zu einer heiklen Angelegenheit werden lässt.
Genau das war es, was Bäckermeister Tobias Metzler überzeugte, als er für seine Bäckerei in Langenargen eine Lösung für das auch dort nervende Butterbrezeldilemma suchte. „Die Butterbrezel, die wir jetzt verkaufen, sind immer gleich gefüllt, egal wer sie macht und egal wann er sie macht“, sagt Metzler
Früher, da seien die Brezeln jeden Tag unterschiedlich gewesen. Die Butter manchmal dicker, manchmal dünner aufgestrichen, ein regelrechtes Zufallsprodukt, abhängig davon, wie warm die Brezel oder weich die Butter war oder wie schnell es gehen musste. So gut wie immer war es ein Geduldsspiel für die Kunden.
„Jetzt verkaufen wir die Brezeln nur noch frisch“, erklärt Metzler, sichtlich begeistert. Die Maschine braucht immer nur zehn Sekunden. Brezeln, deren Butteraufstrich in der Auslage anläuft, gibt es keine mehr.

Hand aufs Herz, Herr Bäckermeister, handelt es sich hier nicht eher um ein Luxusproblem? „Auch wir Bäcker müssen uns weiterentwickeln um Kunden zufriedenzustellen“, sagt Metzler. „Unsere Konkurrenten sind nicht die Kollegen Hamma oder Schwarz, sondern die Lebensmittelindustrie, die für den einen Preiskampf sorgt.“
Natürlich ist eine Butterbrezelmaschine für knapp 4000 Euro nichts im Vergleich zu einer Großinvestition von 60.000 Euro. Doch auch kleine Rädchen können im Uhrwerk eines Bäckereibetriebes von großer Bedeutung sein. Wer das Gefühl hat, beim Bäcker zu lange warten zu müssen, geht dann doch zum Discounter. 80 Butterbrezeln erfordern, alle Handgriffe eingerechnet, jetzt nur noch eine halbe Stunde Arbeitszeit.
Nicht alle Kunden akzeptierten derweil maschinell eingespritzte Butterbrezeln. Erfinder Obertautsch gibt zu, dass eine Bäckerei aus Weingarten die Maschine nach einer Testwoche wieder zurückgab, weil die Kunden handbestrichene Brezeln bevorzugten. Und auch bei Metzler gibt es ein paar wenige, die eine maschinell bestrichene Butterbrezel ablehnten. „Die bekommen ihre Brezeln dann immer noch von Hand bestrichen“, erklärt Metzlers Verkaufsleiterin Irina Zorn. „Wichtig ist nur, dass wir es den Kunden dazusagen. Sonst erkennen sie die Brezel nicht als Butterbrezel. Die Einspritzlöcher sind nur bei genauem Hinsehen zu erkennen.
Die BBM25 ist derweil nicht die einzige Maschine, die das Butterbrezelhandwerk vereinfachen soll. Backservice Milbrandt aus Babenhausen vertreibt beispielsweise das „Aufstreichgerät Streich-Hex“. Für einen Platz an der Theke ist –wie bei der Bäckerei Metzler, die Kunden sollen zuschauen können – ist es aber viel zu groß und die Brezeln müssen immer noch von Hand aufgeschnitten werden. Und Studenten der Dualen Hochschule in Karlsruhe entwickelten 2014 den sogenannten Buttler, der die Butter einspritzt, aber den Größenvergleich ebenfalls verliert.
Es lässt sich jedenfalls konstatieren, dass das Butterbrezeldilemma nicht bloß eine ungeduldige Ausgeburt verwöhnter Bäckerskunden ist. Sondern ein Problem, über dessen Lösung sich schon viele Menschen Gedanken gemacht haben.
Da stellt sich doch die Frage, warum die buttergeladene Einspritzpumpe in dieser handlichen Form erst jetzt in Erscheinung tritt? Nun ja, möglicherweise gab es auch schon Butterbrezelmaschinen vor derjenigen von Obertautsch und Feil, deren Prototyp 2008 fertig wurde. Möglicherweise fehlte es den vorherigen Erfindern jedoch an Geduld und Ausdauer. Die braucht es auch. Selbst die beste Idee muss sich erst einmal herumsprechen. Vertrieb ist mühselig. „Am Anfang wollten die wenigsten Bäcker was von der Maschine wissen“, sagt Obertautsch, der sich nun um die Vermarktung kümmert, während Feil die Maschinen baut.

Zuerst wollten sie ihre Idee an einen interessierten Vertrieb in Franken verkaufen. Die Verträge gingen hin und her, Zeit verstrich, der Deal platze. „Das war ein Tiefschlag“, gibt Feil zu: „Aber dann haben wir gesagt: Jetzt erst recht.“ So gründeten die beiden 2016 ihre eigene Firma und stellten die Butterbrezelmaschine auf Fachmessen vor.
Mittlerweile haben sie 18 Maschinen verkauft. Feil reduzierte seine Hauptbeschäftigung auf vier Tage die Woche, am fünften baut er die Butterbrezelmaschinen. Fünf Stunden dauert es, ein Exemplar zusammenzubauen. Eine Maschine pro Woche. Das ist gegenwärtig eine plausible Produktionsmenge. Ein Großauftrag wäre nur mit zusätzlichem Personal möglich.
Die allererste Butterbrezelmaschine kaufte übrigens ein Großbäcker, dessen Filialen an Bahnhöfen und Innenstädten in ganz Deutschland zu finden sind und dessen Maschinen 25.000 Brezel pro Stunde backen. Das dagegen kleine Maschinchen der schwäbischen Kellertüftler kaufte der Unternehmer deshalb, um Geschmacksmuster in kleiner Menge herzustellen, wenn zum Beispiel neue Produkte getestet werden sollen. Denn – das sei am Ende noch erwähnt – die gespritzten Brezeln schmecken mindestens so gut wie geschmierte. Vielleicht sogar besser.
***
