Michael Scheyer
Journalist | Filmemacher | Dozent
Michael Scheyer
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Arbeitsproben

Ein Zeppelinflug über Deutschland, der unbezahlbar wäre

2. Oktober 2018 Reportage, Text
Ein Zeppelinflug über Deutschland, der unbezahlbar wäre

Braune Äcker, grüne Wiesen, gelbe Felder, grüne und blaue Flüsse, flache und steile Hügel, herbstliche Wälder. Aber natürlich ist das nicht alles, was es bei einem Zeppelinflug von Bonn nach Friedrichshafen zu sehen gibt. Dazwischen liegen Wohngebiete und rauchende Industrieanlagen, sich schlängelnde Autobahnen, manchmal mit und manchmal ohne Stau, der Hockenheimring, Burgen, Schlösser, Kirchen ohne Ende, und auch mal ein Atomkraftwerk. Dieser Blick von oben auf Süddeutschland ist unbezahlbar. Und ein Zeppelinflug dieser Länge wäre es auch.

Sechs Stunden dauert der Flug mit dem Zeppelin NT vom Regionalflughafen Hangelar bei Bonn bis zum Zeppelin Hangar in Friedrichshafen. Und keine einzige Sekunde davon ist langweilig. Zu viel gibt es zu sehen und zu viel zu verpassen, wenn man nicht unaufhörlich nach links und rechts aus den Panoramafenstern des Zeppelins blickt. Aus einer Höhe von 300 Meter gesehen ist Deutschland faszinierend schön und facettenreich.

Kilometer um Kilometer erschließen sich die Zusammenhänge aller Flächen auf dem Boden. Ein ums andere Mal denkt man sich: „So sieht das also aus!“ Landwirtschaft, Wohnraum und Freizeitangebote in friedlicher Koexistenz: Reiterhöfe und Golfplätze, Baumärkte und Mülldeponien, Schrebergärten Windräder, grasende Kühe, galoppierende Pferde und Vögel im Formationsflug.

Sechs Leser der „Schwäbischen Zeitung“ dürfen das Privileg genießen, all das von oben zu sehen und zu erleben, in aller Ruhe, ganz gemütlich, an diesem Montag wegen des Rückenwindes mit gut 80 Kilometer pro Stunde. Dank einer Verlosung der ZF Friedrichshafen AG.

Gewinnerin Gabi Pressmann, 56, eine Pfälzerin, die in Kisslegg eine neue Heimat fand, ist noch nie Zeppelin geflogen. „Jede Minute ist traumhaft“, sagt sie, während sie aus dem Fenster blickt und mit dem Handy fotografiert. Bei der Verlosung antwortete sie auf die Frage, warum sie den Flug verdient habe, dass sie einen besonders guten ökologischen Fußabdruck habe. Abgesehen von einem 30-minütigen Segelflug sei sie noch nie in ihrem Leben geflogen.

Nun, der Zeppelinflug wird Gabi Pressmanns Ökobilanz auch nicht ruinieren. „40 Kilogramm Flugzeugtreibstoff pro Stunde für alle drei Triebwerke“, erklärt Zeppelin Chefpilot Fritz Günther. „Das kann man nur schlecht mit anderen Fluggeräten vergleichen, aber in der motorisierten Luftfahrt sind wir ökologisch gesehen natürlich top.“ Die Motoren sorgen für fünf bis zehn Prozent Auftrieb, den der Zeppelin NT benötigt, um fliegen zu können. Den Rest erledigt das Helium. Nebenbei: Da Auftrieb nötig ist, fliegt der neue Zeppelin und fährt nicht. Das ist eines der ersten Dinge, die Jungfernflieger lernen.

Für den langen Heimflug, den der Zeppelin nach mehreren Wochen Promotionflüge in Nordrhein-Westfalen, wie zum Beispiel auch über der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover, nun antreten muss, ist jedenfalls genug Treibstoff für insgesamt zwölf Stunden an Bord. Ausgeschöpft wird die Menge natürlich nicht, das ist eine reine Sicherheitsmaßnahme. Genauso wie der Mastwagen der Zeppelin- werft, der parallel zur Route auf dem Boden unterwegs ist. An diesen Mastwagen wird der Zeppelin auf dem Boden befestigt. Sollte der Zeppelin wegen einer unvorhergesehenen Wetterlage nicht weiterfliegen können und landen müssen, wäre der Mastwagen also ganz in der Nähe. „Wer mit dem Zeppelin fliegt, braucht immer einen Plan A, einen Plan B und auch einen Plan C“, sagt der Chefpilot.

Es soll bei Plan A bleiben. Zwar windet es immer mal wieder, weshalb der Zeppelin wie ein Schiff in Wellen umherschaukelt, aber davon abgesehen ist das Wetter sicher genug für die gesamte Strecke. „Der Unterschied zwischen diesem Flug und den kürzeren Routen“, erklärt Günther noch, „ist lediglich, dass meine Co-Pilotin und ich mehr Arbeit mit kontinuierlicher Wetterbeobachtung und Navigation haben. Jedenfalls dann, wenn wir Wetter umfliegen müssen.“ Denn vom Wetter hängt die tatsächliche Route ab. Den Rhein entlang, über Mainz und Mannheim, vorbei an Karlsruhe und Stuttgart, über die Alb zum See.

„Eine völlig andere Art des Fliegens“, sagt Josef Nagel begeistert. Der 68-jährige Laupheimer kennt sich aus, weil er als Technischer Prüfer in der Kurt-Georg-Kiesinger- Kaserne der Luftwaffe viele Jahre Hubschrauber instand hielt. „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagt er. „Als Soldat bin ich schon alles geflogen, nur nicht Zeppelin.“

Flüge wie diese werden von Zeppelin normalerweise nicht angeboten. Der reguläre 60-Minuten-Touristenrundflug über Lindau kostet 455 Euro. Die reine Flugzeit vom Flugplatz Hangelar in Sankt Augustin bei Bonn bis zum Zeppelin Hangar in Friedrichshafen wird ziemlich genau sechs Stunden betragen. Das wäre also ein Flug im Wert von 2730 Euro. Ein stolzer Preis.

 „Angenehm leise “, findet Busunternehmer Armin Bendel, 53. Der Unlinger hatte zwar vom Gewinnspiel der SZ und ZF gelesen, es aber gleich wieder gedanklich verworfen, weil er sowieso keine Zeit gehabt hätte. Seine Frau sah das derweil anders und nahm an der Verlosung für ihn teil. Ob es sich um einen Witz handele, wollte er von der Frau am Telefon wissen, als sie ihn über den Gewinn informierte. „Entweder jetzt oder nie“, sagte Bendel, „so eine Chance gibt es nie wieder.“ Die Arbeit müsse nun eben zwei Tage warten.

Vielleicht wären es auch drei oder vier Tage geworden. So klar war das selbst am Sonntagabend noch nicht, ob die Wetterlage den Flug zulässt. In den Wochen zuvor hatte das Wetter bereits mehrfach einen Strich durch die Rundflugrechnung gemacht. Das Wetter muss man akzeptieren. Viel ärgerlicher war für Pilot Günther der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Aus Sicherheitsgründen wurde eine 35 Kilometer breite Flugverbotszone um Köln herum gezogen. Eine Woche lang musste der Zeppelin auf dem Boden bleiben. „Sieben mal 14, da können sie sich ausrechnen, wie viele Passagiere keine Chance bekommen haben“, brummt Günther. Bei allem Verständnis für die Sicherheitsvorkehrungen, ein kleinerer Kreis hätte doch auch gereicht.

Unterwegs bekommt Berthold Knoll, 58, kurz nachdem der Zeppelin die EnBW Zentrale bei Stuttgart überflogen hat, ein Foto von einem Kollegen zugeschickt, auf dem der Zeppelin zu sehen ist ausnahmsweise mit Eigenwerbung in blau „ZF See. Think. Act.“. „Der Kollege fragt, ob ich da drin hocke“, sagt der Laupheimer lachend. Auch für ihn ging mit dem Flug ein Traum in Erfüllung.

Dank seiner Tochter, die ein längeres Gedicht als Bewerbung schrieb. Darin heißt es: „Fliegen ist für ihn so toll und nicht oft drin, der Zeppelinflug wäre für ihn das größte Ding.“ Jetzt fliegt Knoll 300 Meter über dem Boden und blickt auf das gemächlich vorbeigleitende Deutschland hinab. „Die Welt sieht sehr friedlich und ruhig von hier oben aus“, schwärmt er, „von der Hektik und den Problemen da unten spürt man nichts.“

Nein, vom Trubel der Welt ist in der zehn Meter langen Kabine des Zeppelins auf den ersten Blick nichts zu merken. Grundsätzlich sieht der Südwesten Deutschlands gepflegt und gesund aus. Die Trockenheit lässt sich zwar an den vielen Brauntönen der Felder und freiliegenden bleichen Ufern ablesen.

Aber davon abgesehen erscheint das Land sauber, akkurat kultiviert und bis auf den letzten Winkel sinnvoll genutzt. Ein Anblick, den man gesehen haben muss. Die Eriskircherin Sonja Eberle erzählt, dass sie eben erst eine Herzoperation verkraften musste. „Danach war es mein dringlichster Wunsch, einmal mit dem Zeppelin zu fliegen“, erklärt sie. „Solange ich es noch kann.“

Und auch Flugbegleiterin Elisabeth Trapp betrachtet es als einen erfüllten Traum, nach 32 Jahren als Stewardess bei Air Berlin, ihre letzten Berufsjahre im Zeppelin verbringen zu dürfen. „Ich sage immer, das ist entschleunigtes Fliegen.“ Gut, etwa 400 Kilometer Luftlinie in sechs Stunden Flugzeit kann man ruhigen Gewissens als entschleunigt bezeichnen. So klar die Sicht auf den ersten zwei Dritteln der Reise ist, so trüb wird es ab der Schwäbischen Alb. Dafür aber auch wieder grüner. Schafherden sprenkeln Weiden und die Piloten lassen den Zeppelin höher steigen. Wie kann man sich nicht in diese Landschaft vergucken? Mit den Schlössern und Burgen und Kapellen und Ruinen? Unbezahlbar. Und dann landet Co-Pilotin Kate Board den Zeppelin behutsam vor dem Zeppelinhangar in Friedrichshafen.

Erschienen am 2. Oktober 2018 in der Schwäbischen Zeitung.