Michael Scheyer
Journalist | Filmemacher | Dozent
Michael Scheyer
Journalist | Filmemacher | Dozent
Arbeitsproben

Hier werden die Plastinate der Körperwelten-Ausstellung hergestellt

Hier werden die Plastinate der Körperwelten-Ausstellung hergestellt

Diese Multimediareportage ist nichts für schwache Nerven. Gleichwohl bietet sie faszinierende Einblicke in den menschlichen Körper. Die Kunstwerke, die in Gunther von Hagens Ausstellungen “Körperwelten” zu sehen sind, werden im “Plastinarium” in Guben hergestellt. Dies ist eine Tour durch das Plastinarium.

Still sitzen die Frauen und Männer an den Metalltischen: Den Blick gesenkt und in ihre Arbeit vertieft. In der Luft liegt eine ähnlich steriler Geruch, wie er sich in Krankenhausfluren verbreitet. Die Frauen und Männer tragen Schutzbrillen, Gummihandschuhe und Plastikkittel und Lampen über den Tischen werfen gleißendes Licht auf das, was ihre Hände machen. Mit Skalpellen schneiden und mit Pinzetten zupfen sie an menschlichen Körperteilen. Genauer gesagt, sie präparieren sie.

In der Präparation werden die Körper in die gewünschten Teile zerlegt.

Es gibt Menschen, die sich wünschen, dass ihr Körper nach ihrem Tod noch einen weiteren Zweck erfüllt. Dann spenden sie ihren Leichnam. An Universitäten beispielsweise oder an das Plastinarium in Guben. Dort werden aus ihren Leichnamen dann Anschauungsobjekte hergestellt, die in Kliniken, Museen oder Universitäten darstellen, wie das Körperinnere aussieht. Wenn die Körper der Spender in Guben eintreffen, wird zunächst das komplette Blut in Adern und Gewebe von einem Kunststoff ersetzt. Damit wird der Verwesungsprozess gestoppt. Anschließend kommen die Leichname in die Präparation.

Sorgfältig und geduldig trennen die Präparatoren Haut und Fettgewebe von jenen Teilen des Körpers, die später ausgestellt werden sollen: Adern, Muskeln und einzelne Organe.

Nicole Tierbach ist eine solche Präparatorin. Für sie ist das eine Arbeit wie jede andere auch. Nichts anderes als ein Bürojob mit acht Stunden Schichten und normalen Gesprächen wie überall sonst auch. Sie kennen den Menschen nicht, dessen Körper sie sezieren – weder dessen Namen, noch dessen Alter oder Charakter. Jeder Mensch, der nach Guben komme, bleibe anonym. Und die Anonymität schaffe Distanz, was den Leichnam, der da im Ganzen oder in Teilen auf dem Metalltisch vor ihnen liegt, verdingliche.

Die Präparatoren wissen nicht einmal, woran derjenige gestorben ist. Sie bekommen höchstens eine Ahnung, wenn Verletzungen zum Vorschein kommen, die man einem Menschen von außen nicht ansehen könnte. Wie eine dunkle Stelle im Hirngewebe, was zurückbleibt, wenn Betroffene einen Schlaganfall erleiden. Wie das aussieht, das zeigt Nicole Tierbach im folgenden Video:

Interessierte können das Plastinarium besuchen. Es gibt eine Dauerausstellung mit Präparaten, wie sie auch in den Wanderausstellungen zu sehen sind. Aber der Zuschauer soll auch einen Einblick erhalten und nachvollziehen können, wie die Präparate hergestellt werden. Fast den gesamten Prozess und volle Transparenz.

Damit wollten die Körperwelten-Macher auf die moralische Kritik eingehen, die ihnen vorwirft, Geschäfte mit dem Tod zu machen, sich an reiner Sensationslust zu bereichern. Um den Körper anschauen und verstehen zu können, brauche es keine echten Menschen, dafür reichten auch Exponate aus Kunststoff.

Rurik von Hagens, Geschäftsführer und Sohn vom mittlerweile verstorbenen Gunther von Hagens, widerspricht: Kein künstliches Objekt könne dieselbe Faszination und dasselbe Verständnis auslösen, die ein echtes Exponat auslösten. Und kein künstliches Objekt werde der Individualität des menschlichen Körpers gerecht, so wie ein echtes Objekt. Medizinstudenten müssen auch an echten Leichnamen üben, bevor sie operieren dürfen, und nicht an künstlichen Körpern.

Individuelle Objekte, die seltene pathologische Befunde oder Krankheiten zeigten, seien begehrt bei den Abnehmern.

Nach der Präparation geht es in die Positionierung. Die Exponate behalten die Position, die ihnen zugedacht ist, nicht von alleine. Sie müssen entsprechend geformt und fixiert werden. Es geht ums Detail: Jede Ader und jeder Muskel müssen so platziert werden, wie es für den Zuschauer am Ende am verständlichsten wird. Eine Sisyphusarbeit.

Die Positionierer müssen dabei auf jede Individualität eingehen. Schließlich ist kein Körper und kein Körperteil wie die anderen. Das mache die Arbeit anstrengend zwar, aber auch vielfältig und wertvoll. Die Mitarbeiter haben hier Einblicke, die auch Mediziner nur selten erleben.

Wie zum Beispiel der folgende Fall, in dem ein Mensch einen Zwerchfellbruch erlitten hat, sein Leben aber dennoch weiterleben konnte, obwohl der Durchbruch dazu geführt hat, dass ein Teil der Lunge zusammengedrückt wurde.

Zu guter Letzt folgt das Bodypainting, das dem Anspruch auf Echtheit und Authentizität ein wenig widerspricht. Wenn es echt sein soll, warum müssen die Exponate dann noch bemalt werden? Weil es der Zuschauer sonst nicht verstehen würde. Blutloses Gewebe ist einfach nur grau. Aber seit Jahrzehnten lernen die Menschen aus Schulbüchern, dass Sehnen weiß und Muskeln rot sind. Und damit die Menschen dies wiedererkennen, sollen auch die Körperwelten-Exponate dieser Logik folgen. Dementsprechend werden sie bemalt, bevor sie am Ende in den Versand kommen oder in eine der Ausstellungen integriert werden.

Eigentlich ist Gewebe nur grau, deshalb werden die Muskeln rot angemalt.

Weil die Körperwelten-Ausstellungen, die um die ganze Welt touren, immer noch eine große Nachfrage erleben, gibt es gleich mehrere und auch unterschiedliche. In Ravensburg kommt im Jahr 2016 die Ausstellung “Herzenssache” zu Besuch, die sich umfangreich dem vielleicht wichtigsten Organ des Körpers widmet, dem Herzen.

Den ganz großen Kulturkampf, wie Rurik von Hagen es nennt, gebe es heutzutage nicht mehr. Die Debatte sei versachlicht und jeder, der die Ausstellung besucht habe, beurteile sie anders als jemand, der lediglich in der Zeitung darüber gelesen habe.

Wie ist das eigentlich für ihn selbst gewesen, der mit Körperwelten aufgewachsen ist? Erinnert sich Rurik van Hagens noch an den ersten toten Körper, dem er begegnet ist?

Am Ende der Tour durch das Plastinarium wartet noch die Dauerausstellung auf die Besucher.

Ein Exponat in der Dauerausstellung: Der Maler.