Die Jäger der verlorenen Schätze – Unterwegs mit der Metallsonde

Die Sonde gleitet über den lockeren Ackerboden. Sie knackt dabei oder fiept, obwohl sie die Erde so gut wie nicht berührt. Plötzlich tönt sie etwas lauter. Dann hält Daniel B. inne und schwenkt noch einmal über die gleiche Stelle. Das Signal gefällt ihm. Er kniet sich auf den Boden, sticht mit dem Klappspaten in die Erde, hebt einen größeren Haufen aus und sucht mit einem Stab, einem „Pinpointer“, nach dem verborgenen Gegenstand.
Einmal beförderte er auf diese Weise eine kleine schwarze Scheibe ans Tageslicht. Für den Laien kaum zu erkennen: die Umrisse eines Kopfes. Es handelte sich um eine Münze aus der römischen Kaiserzeit. Diese Münze zählt zu Daniels liebsten Funden. Aber das, was er heute ausbuddelt auf dem Weinhang in der Nähe von Lindau, hatte noch kein Römer in der Hand: Ein bleierner Hase kommt zum Vorschein, vermutlich eine Osterdekoration. Der ist zwar nicht sonderlich wertvoll, aber der 31-Jährige, der seit einem Jahr mit dem Metalldetektor loszieht, freut sich trotzdem über den Fund.
„Da kommen Sachen raus, auf die man nie kommen würde“, sagt Daniel über seine Fundstücke. Münzen sind es häufig, zudem Pfennige und Markstücke, meist aus der Zeit um das Jahr 1900. Aber auch ein Lindauer Pfennig von 1692, erkennbar an der eingeprägten Linde. Einmal fand er einen Orden aus dem Jahr 1848: „Verliehen von König Max II. von Bayern“ den „Veteranen des bayerischen Heeres“ steht darauf. Der Orden war für Soldaten, die in den Jahren nach 1800 gegen Russland gekämpft hatten.

Kurze Zeit später fiept die Sonde erneut. Aber das Fundstück will sich nicht zeigen. Daniel nimmt den Erdklumpen und bricht ihn vorsichtig auseinander, bis nur noch ein kleines Metallplättchen mit Zapfen übrig bleibt. „Das ist ein Stück von einer Mundharmonika“, sagt Daniel. „Davon habe ich einige.“ Früher habe fast jeder so eine besessen.
Schrott und Müll findet er jede Menge: Nägel, Nieten und Ringe, die wahrscheinlich von landwirtschaftlichem Geschirr abgebrochen sind. Oder weggeworfen wurden. „Der Misthaufen war früher auch Mülleimer. Und das alles wurde mit dem Mist auf dem Feld entsorgt“, erklärt Daniel. „Deshalb findet man heutzutage noch so viele Gegenstände auf Äckern und Feldern.“
Wenn er nur „Müll“ findet, der archäologisch nicht von Bedeutung ist, steckt er ihn ein und wirft ihn zu Hause weg – als Gefallen für die Landwirte, die ihm die Schatzsuche auf ihren Feldern erlauben. Ohne Er- laubnis hätte er auf dem Grund und Boden der Landwirte im Wortsinne nichts zu suchen. Doch auch mit Einwilligung des Grundbesitzers wäre Daniels Hobby in Baden-Württemberg verboten. Alle archäologisch bedeutsamen Funde gehören dem Land. Wer gegen das Gesetz verstößt, indem er Fundstücke ausbuddelt und behält, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Im schlimmsten Fall mit bis zu 250.000 Euro.

„Da reagieren wir ganz allergisch“, sagt Jonathan Scheschkewitz, der beim Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart für Probleme mit Sondengängern zuständig ist – er nennt sie „Raubgräber“. „Wenn die von einem Schlachtfeld das Metall runtersammeln, ist das Denkmal tot. Dann können wir das nie wieder rekonstruieren“, erklärt der promovierte Archäologe.
Selbst wenn nur kleine Gegenstände wie Gewehrkugeln mitgenommen würden, sei das eine Kata- strophe. „Da wird der archäologische Fundkontext zerstört“, sagt Scheschkewitz. Es werde nie wieder zu klären sein, wie viele Kugeln von wem in welche Richtung abgefeuert wurden. „Es gab einige Fälle bei uns, wo das richtig hochgekocht ist und zu Strafprozessen geführt hat“, sagt Scheschkewitz. Beim Runden Berg bei Bad Urach sei das bis heute ein
Problem: Den habe man nie wieder richtig rekonstruieren können. Auch das Heidentor in der Nähe von Tuttlingen sei von Raubgräbern abgegrast worden. Schon allein der Römer wegen gebe es im Südwesten mehr zu finden als in anderen Bundesländern. „Deshalb hat sich Baden-Württemberg dazu entschieden, restriktiv zu sein.“

Über Daniels Nase sammelt sich ein Schweißtropfen. Es ist schwül und den Hang hoch- und runterzulaufen ist anstrengend. An seiner Trekkinghose klebt Erde. Seine Seitentaschen füllen sich mit allerlei Krims-Krams. Die Sonde schwingt er hin und her, sie knackt und knarzt. Dass die Baden-Württemberger bei Sondengängern keinen Spaß verstehen, ist Daniel klar. Deshalb gehe er nur auf bayerischem Boden suchen.
„Unser Gesetz sieht das Suchen von archäologischen Denkmälern nicht als illegal an“, erklärt Sebastian Sommer, der beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege als Abteilungsleiter für die Bodendenkmäler zuständig ist. „Außer in den Bereichen, die wir klar als Bodendenkmäler gekennzeichnet haben.“
Im Gegensatz zu Baden-Württemberg mache Bayern diese gekennzeichneten Denkmäler im Internet auf einer Karte einsehbar, damit kein Sondengänger sagen könne, er habe nichts gewusst. Sommer sieht die Sondengängerszene kritisch: „Wir müssen leider konstatieren, dass die Szene in Bayern illegal unterwegs ist. Denn was alle Denkmalschutzgesetze vorsehen, ist das Melden von Funden.“ Für die Anzahl an Sondengängern werde aber viel zu wenig gemeldet. „Also entweder finden die alle nichts oder sie behalten es eben für sich.“

In Bayern gehört der Fund zu einer Hälfte dem Finder, zur anderen Hälfte dem Grundstücksbesitzer. Wer Funde nicht melde und dem Grundstücksbesitzer den Anteil verwehre, der begehe nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat. Trotzdem dürfe der Sondengänger laut Gesetz den illegal erworbenen Fund zur Hälfte behalten. Laut Sommer soll diese Gesetzeslücke geschlossen werden. Ein entsprechender Entwurf liege bereits vor. Sommer befürwortet außerdem die Einrichtung eines Schatzregals. Das würde bedeuten, dass auch in Bayern alle verborgenen Schätze von archäologischer Bedeutung dem Staat gehören würden. Die Gesetzesänderung solle auch den „Fundtourismus“ verhindern: Manche Sondengänger suchen in Baden-Württemberg, melden aber in Bayern.
Daniel ist beim zuständigen Amt in Tierhaupten bekannt. Was er fin- det, meldet er per E-Mail: Fundstelle, Datum, Beschreibung und Bild. So wird alles registriert. Wenn die Archäologen kein Interesse am Fund haben, darf er ihn behalten. Die wohl meisten Sondengänger melden ihre Funde nicht. Was sie finden, wollen sie selbst behalten oder teuer verkaufen: Keltische Goldmünzen zum Beispiel oder Schwerter sind enorm wertvoll. Das archäologische Erbe der Menschheit scheint diesen Schatzsuchern egal zu sein.
Davon wolle sich Daniel distanzieren: „Wenn ich was finde, was für die Menschheitsgeschichte wichtig ist und ich es nicht melde“, sagt er, „dann komme ich meiner Verantwortung als Mensch nicht nach.“ Wem diese Verantwortung egal sei, meint Daniel, der sei ein Raubgräber. Seine Leidenschaft gelte hauptsächlich der Suche, der Geschichte und der Landeskunde. Was ihn an der Schatzsuche reize, sei die Neugier, nicht die Profitgier. Da er auf Äckern und Feldern suche und nicht im Wald oder in der Nähe von Burgen, werde er den wirklich großen Fund wohl nie machen. Damit habe er sich schon abgefunden.

Zwar würde die Landesdenkmalpflege in Stuttgart alle Fundstücke am liebsten im Boden belassen. Dort helfen sie der Nachwelt mehr, die mit neuen technischen Möglichkeiten präziser wird vermessen können. Aber dort, wo gebaut wird, bleibt den Archäologen nichts anderes übrig, als Hand an den Metalldetektor zu legen. Warum sich also die Arbeitskraft der Hobby-Archäologen nicht nutzbar machen? „Es ist in unserem Interesse, die Sondengänger mit unseren Leuten zusammenzubringen“, sagt Scheschkewitz.
Diejenigen, die Kooperationsbereitschaft zeigen, will er sozusagen offiziell in den Dienst der Wissenschaft stellen. Sondengänger dürfen sich bewerben, müssen sich vorstellen und an drei sogenannten Prospektionen teilnehmen. Sollten sie infrage kommen, bekommen sie eine spezielle Ausbildung.
Seit der Aufruf im Internet veröffentlicht wurde, gehen in Stuttgart acht bis zehn Anfragen monatlich ein. Die erste Schulung fand bereits 2013 statt. 17 Sondengänger sind mittlerweile registriert. Zugelassen wird lange nicht jeder. Scheschkewitz betont, dass das Projekt nicht als Ein- stieg in die erlaubte Schatzsuche gedacht sei. Ein Archäologiestudium sei da die einfachere und schnellere Lösung.

Abgesehen vom wissenschaftlichen Hintergrund und dem korrekten methodischen Vorgehen, stehe auch ein Besuch beim Kampfmittelräumdienst auf dem Fortbildungsprogramm. In den Böden befänden sich jeden Menge Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. „Das wird meist unterschätzt“, sagt Scheschkewitz. „Die Zünder sind meist korrodiert. Die werden immer empfindlicher und haben eine enorme Sprengkraft.“ Unfälle seien nicht selten.
Daniel hat den Kampfmittelräumdienst auch schon einmal rufen müssen. Angst habe er selbst keine, vorsichtig sei er dennoch. Als Sportschütze mit 20-jähriger Erfahrung kenne er sich aus.
Die Sonde fiept wieder. Daniel versucht es von einer anderen Richtung. Sie fiept weiter. Der Magnetzylinder, der etwa 20 Zentimeter in den Boden reicht, meldet einen Metallgegenstand. Ist das jetzt etwa eine Münze? Könnte sein. Daniel kniet auf den Boden, buddelt und spürt eine kleine, deformierte Kugel auf. „Die Kugel einer Muskete“, sagt er, während er sie mit Spucke abreibt. „Und sie hat wohl getroffen, hier erkennt man das Muster eines Textilgewebes.“ Was jetzt von Interesse wäre: Wer hat die Kugel abgefeuert? Und wann? Und weshalb? Und wen hat sie getroffen? Und ist er daran gestorben? Aber das verrät der Metalldetektor nicht.
Erschienen am 18. Juli 2014 in der Schwäbischen Zeitung.