Michael Scheyer
Journalist | Filmemacher | Dozent
Michael Scheyer
Journalist | Filmemacher | Dozent

Arbeitsproben

Donald Windham: Der reichste unbekannte Schriftsteller Amerikas

12. September 2013 Feature, Text
Donald Windham: Der reichste unbekannte Schriftsteller Amerikas

Vergessene Autoren sind schwer zu finden. Doch genau darauf hat sich das Düsseldorfer Verlegerpaar Viola Eckelt und Axel von Ernst spezialisiert: Auf Werke, deren Urheber zwar einmal zeitgeschichtliche Bedeutung hatten, die in Deutschland aber bis heute noch nicht veröffentlicht wurden. Geduldig und aufmerksam durchstöbern sie endlose Listen ausländischer Kataloge nach versteckten Spuren von historischer Bedeutung.

Eines Tages, es ist etwa sechs Jahre her, blieb Axel von Ernst hängen bei dem Titel „The Dog Star“ von Donald Windham. Ein Zitat, das nebenan für das Buch warb, erweckte seine Neugierde: „Der beste Roman des Jahres 1950“ – Thomas Mann.

Eine Internetrecherche ergab, dass der 1920 geborene US-Schriftsteller Donald Windham nicht nur mit Thomas Mann im Briefwechsel stand, sondern auch mit Truman Capote („Frühstück bei Tiffany“) und Tennessee Williams („Endstation Sehnsucht“) eng befreundet war. Kurzerhand bat Verleger von Ernst den Übersetzer Alexander Konrad darum, sich in Windhams Bücher einzulesen und eine Einschätzung abzugeben. Konrad, englischer Muttersprachler, war begeistert, machte den Autor in New York ausfindig und rief an. „Seine Stimme war die Zerbrechlichkeit in Person“, erinnert sich Konrad an das Telefonat. „Und sie hatte trotzdem auch etwas sehr Neugieriges.“

Er erklärte Windham, dass er seine Bücher gelesen habe und dass ein deutscher Verlag ihn gern verlegen würde, aber dass dieser nur sehr wenig Geld bieten könne. Was er davon halte? „Oh, I would like that very much“, war die Antwort.

Truman Capote (links) und Donald Windham. © Yale University

Kurze Zeit später, ganze 58 Jahre nach der amerikanischen Erstauflage, erscheint der Roman „The Dog Star“ auf Deutsch. Für Windham habe sich damit ein lang gehegter Traum erfüllt, sagt Konrad, der den Schriftsteller in New York besuchte, um persönliche Gespräche zu führen. Deutsche Literatur habe Windham sehr bewundert. Vermutlich auch wegen Thomas Mann, eines seiner Vorbilder. Ihm schickte Windham 1952 das Manuskript zu seinem Roman „Like a Flower“, den kurz zuvor ein Verleger abgelehnt hatte.

Am 4. Mai 1952 schrieb Thomas Mann in sein Tagebuch: „Beendet die Lektüre von Windhams Roman, entschieden begabt. Sehr düster gegen die Ehe. Eindruck, dass es sich um ein bemerkenswertes Werk handelt, dessen Zurückweisung tadelnswert. Der Dog Star war äußerlich schärfer, aggressiver, provokativer.“ Und: „Die Katastrophe ist krass genug, aber vorher viel Feines, wie Wolkenschatten über die Seele huschendes.“

Thomas Mann war nicht der Einzige, der Windhams Werke schätzte. Neben Truman Capote und Tennessee Williams lobten auch Marianne Moore, Graham Greene oder E.M. Forster seine Bücher. Verleger Axel von Ernst wirbt selbst mit einem großen Vergleich: „Für mich ist ‘The Dog Star’ der bessere ‘Der Fänger im Roggen’“. Immerhin sei Windhams Buch ganze drei Jahre vor Jerome David Salingers Buch erschienen. The „The Dog Star“ habe laut von Ernst all das nicht, was „Der Fänger im Roggen“ zu viel habe.

Trotz der vielen prominenten Lobeshymnen blieb Donald Windham der Erfolg verwehrt. Er starb im April 2010 in seinem New-Yorker Appartement im Alter von fast 90 Jahren, von der Weltöffentlichkeit nahezu unbeachtet. Kurz nach Windhams Tod erreichte Axel von Ernst ein Brief aus New York. Darin bat Windhams Nachlassverwalter um die noch fälligen Tantiemen: Er müsse das Erbe beziffern.

Für den Lilienfeld Verlag, der erst 2007 gegründet worden war, stellte eine Auflage von 2000 Stück zwar einen Erfolg dar, aber das spülte keineswegs viel Geld in die Kasse. Mühsam kratzten das Verleger also die noch ausstehenden 2000 Euro zusammen und fielen aus allen Wolken, als sie wenige Monate später aus der New York Times erfuhren, dass Donald Windham all sein Vermögen der Yale Universität in Connecticut gestiftet hatte, die damit einen Literaturpreis ausloben solle, vergeben in neun Kategorien, dotiert mit jeweils 150.000 Dollar.

Mit jährlich insgesamt 1,35 Millionen Dollar hinterlässt der fast vergessene Schriftsteller damit einen der größten Literaturpreise der Welt: die „Donald Windham-Sandy M. Campbell Literature Prizes“. Es ist dieser Preis, der Donald Windham nach seinem Tod zu großer Berühmtheit verhelfen könnte.

Donald Windham (links) und Tennessee Williams. © Yale University

Warum Donald Windham auch in Amerika erfolglos blieb, erklärt Bruce Kellner, der bis 1991 Professor für englische Literatur an der Millersville Universität in Pennsylvania gewesen ist und eine Bibliographie mit Windhams Werken verfasst hat: „Bad timing,“ sagt der 84-Jährige. Als Windham 1965 seinen Roman „Two People“ veröffentlichte, in dem es um die Liebe zweier Männer geht, seien die Vereinigten Staaten hochgradig homophob gewesen. Die etablierten Kritiker hatten sich damals über das Thema des Buches empört.

Windham habe seine Homosexualität zudem offen ausgelebt. Ähnliche Gründe vermutet Axel von Ernst, der „Zwei Menschen“ als zweites Buch veröffentlichte. „Wir haben auch den Eindruck, dass es das schwule Thema ist“, sagt der Verleger. „Dabei geht es gar nicht um Homosexualität. Es ist eine Liebesgeschichte. Punkt.“ Übersetzer Konrad findet, dass Windham ein viel zu integrer Mensch gewesen sei, um erfolgreich zu werden. Windham habe etwas Aufrichtiges an sich gehabt und eine Abneigung gegen Oberflächlichkeiten.

Das hört sich an wie Truman Capotes Gegenentwurf. „Und ich fand es berührend, wie neugierig er auch im hohen Alter noch war“, sagt Konrad. Als er Windham danach fragte, ob es nicht schwierig für ihn gewesen sei, seine Homosexualität so offen auszuleben, da habe Windham gestanden: „I always trusted my subjectivity.“

Aber mit Integrität allein lässt sich noch kein Geld verdienen. Bruce Kellner meint jedenfalls, dass Windhams Tantiemen ihn nicht einmal die Hälfte seines fast neunzigjährigen Lebens hätten versorgen können. Doch wie kam der erfolglose Schriftsteller dann zu dem enormen Vermögen, dessen Zinsen nun für das hohe Preisgeld sorgen? Die Antwort darauf gibt der zweite Namensgeber des Preises: Sandy Montgomery Campbell, Windhams Lebenspartner.

Donald Windham (links) und Sandy Campbell. © Yale University

1943 hätten sie sich getroffen und ineinander verliebt, erklärt Kellner. Und so sei es bis zu Campbells Tod im Jahre 1988 geblieben. Schauspieler war er und leidenschaftlicher Buchsammler. Später verlegte er auch selber Bücher. Aber auch das brachte nicht viel Geld ein. Campbell erbte schließlich. Sein Vater war ein Chemiefabrikant. Trotz des Reichtums pflegten Campbell und Windham einen einfachen Lebensstil, betont Kellner. Ursprünglich sei es Campbells Idee gewesen, das große Vermögen zu stiften, um einen Literaturpreis ins Leben zu rufen. Als Campbell jedoch starb, habe Donald Windham erst einmal nicht gewusst, was er tun solle. Kellner habe Windham dann empfohlen, der Yale Universität seinen literarischen Nachlass anzubieten, mit Notizen, Manuskripten und Briefen. Und nur dann, wenn die Universität das Angebot annehmen würde, solle er ihr auch das viele Geld anbieten.

Der literarische Nachlass ist für Literaturwissenschaftler vermutlich wertvoller als der finanzielle. Windham sammelte nämlich über Jahrzehnte hinweg Briefe und Nachrichten von Thomas Mann und seinen Freunden Capote und Williams. Er hielt außerdem seine Freundschaften fest in einem Buch: „Lost Friendships – A Memoir of Truman Capote, Tennesse Williams and Others“. Dieses Buch ist für Literaturwissenschaftler ebenfalls von großer Bedeutung. Und so ist es auch dieses Werk, das als nächstes erscheinen soll.

Am 13. September wird die Yale Universität die „Donald Windham- Sandy M. Campbell Literature Prizes“ erstmals vergeben. Unter den Gewinnern, die schon bekannt sind, befinden sich eher weniger bekannte Autoren. Aber das ist ganz in Donald Windhams Interesse. Es war sein Wunsch, dass auch unbekannte Literaten ohne höhere Ausbildung Berücksichtigung finden würden.

Die Aufmerksamkeit, die der Preis auf sich zieht, wird Donald Windham bekannt machen. Das glaubt jedenfalls Verleger Axel von Ernst. Er gibt aber gleichzeitig zu, dass ihn die Gewinner eher am Rande interessieren. Denn die Kategorie „Tote Vergessene“, auf die er sich spezialisiert habe, gebe es nicht. Tote Vergessene bräuchten schließlich auch kein Geld mehr.

Info: Folgende Autoren erhalten ein Preisgeld in Höhe von 150.000 Dollar: Non-Fiction: Johnny Steinberg, Jeremy Scahill, Adina Hoffman. Drama: Naomi Wallace, Tarell Alvin McCraney, Stephen Adly Guirgis. Fiction: Zoe Wicomb, James Salter, Tom McCarthy. Weitere Informationen unter windhamcampbell.org